Von jeher faszinierte die Bildhauer die farbige Plastik, die Plastiker der Mittelmeerländer, die Bildhauer des Mittelalters, die Bildhauer des 20. Jahrhunderts wie Marini, Mataré, Fiori.
Aber: Welcher Stoff und welche Formen bieten sich als Farbträger an?
Ich durchforschte den Ton, der dazu noch einen Feuerprozess bestehen muss, hinsichtlich meines Problems der farbigen Plastik. Bei der Rundplastik aber zeigten sich für mich schnell die Grenzen beim Einsatz von Farbe als Gestaltmittel. So reduzierte ich nach und nach die Rundplastik auf Flächen-Koordinaten, um diese als Farbträger zu gewinnen und baute schemenhafte Gestalten.
In diesen SCHATTENGESTALTEN und umrisshaften FERNBILDERN mit größtmöglichem Verzicht auf Details, erkenne ich ohnehin die Situation unserer heutigen menschlichen Existenz: Das „‚Aneinander-vorbei“. So stecken sich die Grenzfelder der Form klar ab auf wenige Bewegungen der Innenflächen, dem gespannten Spiel zwischen Wölbung zur Höhlung, Straffem zu Lockerem, Farbigem zu Nacktem, Geradem zu Kurvigem, Linien zu Kanten, deren Verlauf durch die Glasurhaut besonders artikuliert wird. Die Leeren zwischen den Flächenscheiben erweitern das Raumvolumen, noch gesteigert durch Wegnahme der Masse. Dem Auge wird eine sensible Sehweise abverlangt, um den Entstehungsprozess solcher Gebilde entlarven zu können. Der Rest bleibt Geheimnis: Im Sinne von Novalis.
Das Formproblem wird identisch mit der geistigen Aussage. Durch die Qualität des hochgebrannten Steinzeuges wird der angestrebte Steincharakter erreicht. Anlässlich der Darmstädter Ausstellung 1966 schrieb Prof. Dr. Walter Warnach von der Kunstakademie Düsseldorf: „… Weniges ist geeigneter die bloße Positivität des Volumens aufzuheben als die ‚Haut‘, die die Glasur um das Volumen legt. Das Tiefste am Menschen ist die Haut, das ist kein zynisches Paradox, sondern die genaue Bestimmung des Ortes, wo der Umschlag in die Innerlichkeit des Raums erfolgt – am Äußerlichsten. Indem das Oberflächenspiel der Glasur das Auge bindet, gerät der Sinn unversehens vor die verzehrende Tiefe, wo Raum, für sich das pure Nichts, fruchtbar wird, sich umsetzt in Energie, die unerschöpflich Raum aus sich hervortreibt. Auf diesem raumerzeugenden Kern drängt der Gestaltsinn dieser Bildwerke, und um dessentwillen wird der Raum durch ein System von negativen und positiven Flächen in Bewegung gehalten, wie ein Acker nach innen gewendet. Kosmische Konstellationen wiederholen sich in mikrokosmischer Verkürzung in der menschlichen Gestalt. Das Drängen geschieht schutzlos und doch wie unter einer unsichtbaren Hülle, die eine wunderbare Dichterin (Catherine Pozzi) die ‚Seelenhaut‘ genannt hat. Am Ende bleibt die lautlos gesammelte Kraft. …“ Beitrag zur Plastik: Der TON – PLASTIK innerhalb der freien Künste wieder den ihr gebührenden Raum zu erobern.
Gisela Schmidt-Reuther
Zu diesem Thema der Brief an Prof. Dr. Ulrich Gertz vom 11. Dezember 1987
Ein friedliches Weihnachten!
Fotos : ein kleines „Neujährchen“ für Sie.
Lieber Herr Dr. Gertz
Ich arbeite ebenso verzweifelt an meinen Formideen der „Schattengestalten“, wie ein Giacometti. Nur lebe ich nicht in Paris, in solch desolaten Situationen, wie er sie sich aussuchen mußte, als Ausweg aus den Sackgassen. Er geriet in immer kleinere Formate, knetete seine Tonbatzen um Drahtgerüste, und die Broncegießer verewigten das unfertige Konzept, an dem er litt. So wurde bei ihm, ehe das Ende drohte, stets ein neuer Anfang. Zeichen auch unserer Zeit?
Und doch, wie anders habe ich zu kämpfen mit diesem Material, Ton + Glasur = Farbe.
Mir fehlen sehr die Gespräche während der Gestaltungsprozesse. Immer wieder diese Reduzierung auf Kleinformate. Immer wieder der anders verlaufende Brennprozeß, als man erwartet hatte.
Hinzu kommt die Überstürzung der Einfälle, die dann, nur skizzenhaft notiert, wieder in den Schubladen verschwinden. Reliefierte Porzellanscheiben bewegen mich z.Zt.. Ich hoffe, nicht gestört zu werden in diesem Konzentrationsprozeß der Flächenstrukturen, nicht aus dem Material, sondern aus dem visuellen Erinnerungserlebnis, das bewußt gestaltet ist, obgleich soviel Unbewußtes einfließt, das jedes Objekt zu einem Unikat macht. Stranderlebnisse, Landschaftserlebnisse, konstruktive Elemente, aber innerhalb des gegebenen Formates an die Grenzen des Möglichen stoßen.
Was gibt es Neues, fragen die Leute, und meinen selten Ereignisse aus dem Kreis der kreativen Prozesse, so wird es sehr still um mich, weil ich suche, um mit Weischedel zu sprechen, „die Tiefe im Antlitz der Welt“. Was bleibt mir anderes? Meine Werke ruhen in Höhr im Kellerdunkel und stehen hier im Atelier herum, eines das andere erschlagend durch die enge Fülle der Räume. Wie schön wäre der Gedanke, so wie der erste Kaiser von China, ein Gräberfeld zu haben und alles ins Verborgene zu tragen, neben die Gebeine, keiner hätte Sorge, wohin mit all diesem Geschöpften, es wäre wieder da, woher es kam: aus der Erde. Aber ich bin kein Kaiser, und Grabkulturen gibt es nicht mehr.
Sie eröffneten bei Marga Behn die „Sturm“-Ausstellung. Da war wenigstens eine Solidarität, Sie begeisterten Zuhörer! Bürkner schrieb heute wieder von den Chancen der Gruppe 83, in Kanada 1989/90 und in Südostasien auszustellen. Ach, alle ausländischen Ausstellungen verlaufen ja doch für den Einzelnen ohne Echo. Nur Unkosten und Arbeit, und keinerlei Presse oder Echo.
Was Sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit damals sagten: „Plastikausstellungen in Wiesbaden“, wissen bereits alle kompetenten Leute. Stimmt das noch? Haben Sie in Frechen bei der DDR-Ausstellung, in dem neuen Raum, Untergeschoß, meine große „Schmetterlingsherbstlandschaft“ gesehen?
Ich wollte Sie und Ihre Frau nur grüßen. Ich müßte mich eigentlich schämen, ich scheine zu den ganz unmodernen Zeitgenossen zu gehören, die andere immer mal wieder mit Briefen belästigen, trotz Echolosigkeit. Aber es wird eines Tages von selber aufhören, aus der großen Weltmüdigkeit heraus.
Bleiben Sie munter
Ihre GSR.