Gisela Schmidt‑Reuther

Ihr Leben. Ihre Werke.

Rede zur Übergabe des Bronzeportraits von Gisela Schmidt-Reuther an die Stadt Neuwied

Ich danke Ihnen Herr OB Roth für die Einladung und Ihren Mitarbeiterinnen Frau Neuendorf und Frau Kusche-Knirch für Organisation und Ausrichtung dieser Feierstunde im Andenken an die Künstlerin Gisela Schmidt-Reuther. Sie haben den Raum mit diesen schönen Fotos geschmückt. Sie ist also mitten unter uns und mancher wird sich bei dem ein oder anderen Foto an die Begegnung mit Gisela Schmidt-Reuther erinnern. Unser ganz besonderer Dank gilt auch Ihnen Frau Paganetti und Ihnen Herr Kämpf für die musikalische Begleitung dieser Feierstunde.

Herr OB, ich darf Ihnen im Namen der Erbengemeinschaft heute diese Portraitbüste als Erinnerung an die Bildhauerin und Keramikerin Gisela Schmidt-Reuther aus dem Nachlass für die Stadt übergeben. Die Stadt hat 1995  Gisela Schmidt-Reuther – ihr Engagement und ihr Schaffen – mit dem Kulturpreis geehrt. Wir freuen uns und danken Ihnen Herr OB,  dass die Portraitbüste hier in der städtischen Galerie eine Bleibe findet und die Erinnerung an Ausstellungen und eine außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit wach hält.

Lassen Sie mich einige Worte zu Georg von Kovats und dem Leben der Künstlerin sagen und erlauben Sie mir, dass ich meine Tante nun liebevoll Gisela nenne.

Der Bildhauer Georg von Kovats hat dieses Portrait von Gisela 1942 in Berlin modelliert und sie hat dann später von dem Gipsmodell zwei   Bronzeportraits gießen lassen. Eines schenkte sie vor einigen Jahren dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wo auch ihr schriftlicher     Nachlass archiviert ist. Das andere Portrait erwarb Dr. Erhard Britz, der es ihr testamentarisch zurück gab und das uns heute Grund für diese Feierstunde gibt.

Dem Bildhauer Georg von Kovats begegnete Gisela 1940 an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin in der Bildhauerklasse von Prof. Richard Scheibe. Gisela als Studentin, Kovats – einige Jahre älter – als Meisterschüler. Schnell entwickelte sich eine intensive und lange Freundschaft der beiden Künstler und ihrer Familien. Schon in Berlin verkehrte Gisela im Hause Korvats und sie pflegte den Kontakt über seinen Tod hinaus weiter zu seiner Witwe und seiner Tochter Nana, die ich heute     entschuldigen möchte. Sie wäre gerne gekommen, ist aber durch eine Familienfeier verhindert.

Georg von Kovats hat mit dem Portrait die Gesichtszüge von Gisela sehr eindrucksvoll und klar getroffen. Die Plastik ist am Vorbild antiker Formensprache orientiert und besticht durch die Klarheit der Züge und den nach innen gekehrten Blick unter der hohen Stirn. Ich darf an dieser Stelle den Bildhauer von Kovats zitieren, der über Gisela, noch ganz am Anfang ihrer Karriere als Keramikerin und Bildhauerin – sie war damals 26 Jahre alt – schreibt:

Die Begegnung mit Gisela Schmidt-Reuther an der Kunstakademie in Berlin war im Schatten des Krieges von eigentümlicher Prägekraft bestimmt. Dominierend in der Vorstellungswelt dieser jungen Künstlerin waren zwei polare Bereiche: 

         – Die Vision des Lebens als schöpferischer Urgrund und

         – Die Vision des Todes als ständig sichtbares Grenzmaß. Sichtbarer Ausdruck ihrer keramischen Arbeit ist ein steter Kampf gegen jede Erstarrung. Es ist ihre künstlerische Energie, die ihr neue Zonen der Gestaltung erschließt.

Georg von Kovats hat schon früh die enorme Schaffenskraft der Künstlerin erkannt und das verleiht auch ihrem Portrait die bleibende Lebendigkeit.

Ich möchte Ihnen nun kurz einige Stationen ihres wahrlich bewegten Künstlerlebens vorstellen. Seit 2000, als ich nach 50 Jahren zurück in den Bannkreis meiner Geburtsstadt kam, entwickelte sich ein sehr reger und intensiver Kontakt zu meiner Tante. In vielen Gesprächen hat die alte Dame in den vergangenen Jahren ihr Leben vor mir ausgerollt und begeisternd von so manchem Erlebnis erzählt. Ich wunderte mich immer wieder wie viele auch kleinste Details über viele Jahrzehnte ihr im Gedächtnis blieben.

Wir sind heute hier zusammen gekommen am Vorabend ihres Geburtstags, dem 22. Oktober. Es wäre der 94. gewesen. Ich weiß nicht, ob andere Menschen, die früher lebten, Einfluss auf die Neugeborenen nehmen, aber dieser Tag ist auch der Geburtstag des Bildhauers Jean Baptist Clésinger und des Klaviervirtuosen Franz Liszt. Ihr keramisch bildhauerisches Werk steht außer Frage – das kennen wir –  aber sie war auch eine gute und leidenschaftlich Klavierspielerin und kaufte sich noch im hohen Alter ein Steinway Klavier. Ihr Klavierdebut gab sie bereits mit 10 Jahren beim Übergang auf das Lyzeum.

In ihrem ersten Schuljahr 1922 zog die Familie  von Sobernheim – ihrer Geburtsstadt – in die Heimatstadt ihrer Mutter nach Heddesdorf. Ihr Vater war hier Volksschullehrer und ist noch heute einigen älteren Heddesdorfern im Gedächtnis. Hier in Neuwied und seit 1958 im nahen Rengsdorf blieb sie bis zu ihren Tode. Bildhaft schilderte sie mir viele Episoden ihres Lebens.

So wohnte sie zuerst mit Eltern und Bruder beim Großvater im Mehrgenerationen Haus Söhn in der Diedorfer Straße und sie hatten nur ein Schlafzimmer. Aber es war eine schöne Zeit – schwärmte sie – so interessant und abenteuerlich mit Backstube, Bäckerei und Tante Emma Laden… und dem großen Garten mit vielen Obstbäumen. Dann klagte sie:

Alles ist heute zugeteert, kein Duft der Pferdeäpfel mehr,  kein Pferdegetrappel, kein Hahnenschrei, kein Schweinequieken, kein Kartoffelgeruch,  keine Schaukel, kein Hühnergegagger nur noch Benzingestank und Stress auf der Dierdorfer Straße.

Nachdem sie dann kurz in einer Notwohnung der Heddesdorfer Schule zusammen mit dem Hausmeister wohnten,  zogen sie 1927 ins eigene Haus im Hofgründchen, wo sie dann endlich mit 12 Jahren ihr eigenes Zimmer bekam.

Nach dem Abitur 1934 begann sie ihre Ausbildung zuerst an der Werkschule für Keramik in Höhr, dann studierte sie Bildhauerei an der Städelschule in Frankfurt. Aber schon nach einem Jahr konnten die Eltern die Kosten einer auswärtigen Ausbildung nicht mehr aufbringen und sie musste das Studium 1936 schweren Herzens abbrechen. Sie arbeitete dann bis Anfang 1940 in der Staatlichen Majolika-Manufaktur in Karlsruhe und war nebenbei Gasthörerin an der Kunstakademie. Gerne erzählte sie von der Karlsruher Zeit, von der Familie, bei der sie wohnte, und den Fahrradausflügen in die Rheinauen.  Dann endlich 1940 hatten ihre Bemühungen um ein Stipendium Erfolg und sie studierte bis1944 als Staatsstipendiat an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, wo sie Georg von Kovats begegnete und  ihren Lehrer von der Städelschule wieder traf. Eine glückliche Konstellation mitten im Krieg, von dem sie sagt, dass sie nicht viel davon mitbekommen hat. Doch als die Luftangriffe auf Berlin 1944 zunahmen, durfte sie nach Trier umsiedeln und an der dortigen Werkkunstschule weiter Bildhauerei weiter studieren. Hier erhielt sie 1944 den Ruf für eine Lehrtätigkeit in Höhr und kehrte nach 10 Jahren Ausbildung an die Werkschule für Keramik zurück.

Noch in den Nachkriegswirren heiratete sie 1947 Hans-Georg Schmidt, der ihr 50 Jahre lang den Sinn des Lebens vorlebte, nämlich in allen Gefahren in Gotteshand sich zu fühlen und das Trauern mit einzubeziehen in die Spuren des Glücks. 

Ich zitiere weiter: Hans lebte mir vor, dass die geistigen Kräfte in Elendsphasen sogar noch Glücksspuren vorfinden und nach seinem Tod 1996 heilten die Wunden dieser Amputation nicht mehr. Natürlich war ich immer verliebt bis ins hohe Alter, erzählte sie mir weiter, aber in die Welt der Künste. Die Gemeinschaft mit dem Partner, mit dem ich 50 Jahre leben durfte, das war nicht Verliebtheit, das war diese Liebe, die in einem Menschen das ergänzende Du fand – in einer schöpferischen Glücksphase, hier bin ich versucht von einem Geschenk Gottes zu sprechen. Meinem Lebensgefährten verdankte ich, dass ich nie den Weg verlor. Seine wesentliche geistige Unterstützung gab mir die Durchhaltekraft, in meiner Traumwelt weitere Luftschlösser zu bauen. 

Nun lebte sie 10 Jahre lang mit ihrem Mann bei den Schwiegereltern.  Mit der Ehe begann auch die Zeit großen schöpferischen Schaffens bis ins hohe Alter. Zuerst modellierte und brannte sie in ihrer freien Zeit in der Schule in Höhr-Grenzhausen und dann seit 1967 im eigenen Atelier in Rengsdorf. Ergebnis dieser fast unendlichen künstlerischen Produktivität waren weit über tausend keramische Werke und  die Teilnahme an mehr als 100 Ausstellungen national und international. Im Jahr 1969 erfolgte dann die Aufnahme in die Internationale Akademie für Keramik in Genf und schließlich die Schenkung von mehr als 200 Werken an das Keramikmuseum Westerwald. Diese Schaffensperiode war unterbrochen von Studienreisen in fast alle europäischen Länder und Israel, von denen sie immer reiche Ausbeute an Eindrücken, Zeichnungen und Skizzen mitbrachte – Ideen für ihr keramisch-bildhauerisches Werk.

Sie war 1983 Gründungsmitglied der deutschen Sektion der Internationalen Akademie –  der Gruppe ’83 – und prägte auch 1993 die Kultur- und Kunstszene dieser Stadt als  Gründungsmitglieder der Gruppe ’93 – Bildende Künstler Neuwied -, die seither regelmäßig abwechselnd im Kreismuseum und hier in der Galerie Mennonitenkirche ausstellt. Für ihr Engagement und ihr künstlerisches Werk erhielt sie 1995 den Kulturpreis der Stadt verbunden mit der großen Einzelausstellung „EINBLICKE“ in allen Räumen dieses Hauses – und im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Ehrenpreis Deutsche Keramik im Keramikmuseum Westerwald geehrt.

Ihr Haus stand jedem offen und sie freute sich über jeden Besuch und jedes Gespräch. Die meisten von uns kennen ihre Gastfreundschaft aus eigener Erfahrung. Sie fühlte sich wohl, wenn Ihr Wohnzimmer voller Gäste war. Sie liebte die Menschen und liebte es, unter Menschen zu sein. Sie liebte das Publikum. Und sie half gerne, wo sie Notlagen erkannte.

Ich danke Ihnen, dass Sie der Einladung zu dieser Feierstunde zum Andenken an Gisela Schmidt-Reuther gefolgt sind und ich hoffe, dass sie in unserer Erinnerung weiterleben wird. Lassen Sie mich schließen mit ihren Worten:

Der schöpferische Prozess erfordert große Beherrschung aller Techniken bis zum Endstadium. Es reizte mich außerdem, zu Jahrtausenden alten Techniken mit meiner Tonplastik einen neuen Beitrag zu leisten.

Das hat sie mit ihren figürlichen Flachplastiken wahrlich getan. Ich habe sie bewundert, wie sie mit wenigen Strichen und Linien einen Gegenstand oder eine Person skizzierte und modellierte und dabei nicht nur die Form unmissverständlich festhielt, sondern auch die Stimmung. Wir haben im Raum gegenüber einen kleinen Querschnitt ihres Schaffens aus 6 Jahrzehnten mit Werken aus städtischem – und Privatbesitz  zusammengestellt.

Nach dem musikalischen Intermezzo bitte ich Frau Gass, uns ihre persönliche Begegnung mit der Künstlerin und ihrem Werk zu schildern.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit mit einem Gedicht der Künstlerin.

Hinter meinen dunklen Lidern
Tanzen Ringe auf und ab
Schaun in tiefe Dunkelheiten
In ein gähnend leeres Grab
Wer holt mich fort aus dieser Trauer
Steigt aus Nebel, bringt mir Licht
Eh mein Schatten immer schmaler
Immer schmaler mein Gesicht

Klaus-Jürgen Reuther, 21.Oktober 2009